Daniel Kulle

Die neue Freiheit. Postdigitale Filmproduktion zwischen Prosumer Culture, Kunst und neuen sozialen Bewegungen

Das Versprechen des postdigitalen Zeitalters ist deutlich: Konsumiere produktiv und du wirst dich auf kreative und für andere inspirierende Weise selbst erschaffen. In der Prosumer-Kultur werden Konsumenten stets als Produzenten verhandelt und Produzenten immer auch als Konsumenten. Im Film waren Amateur- und Profiproduktion allerdings bis vor kurzem streng getrennt. Die Entwicklung digitaler Produktionsmittel, von Kameras oder Schnittplatzsystemen bis hin zu Techniken der Distribution und Exhibition, hat diese Grenzen verwischt.

Der Vortrag möchte sich mit der Frage beschäftigen, inwieweit sich die neuen Strategien und Möglichkeiten der Filmproduktion mit einem Konzept von postdigitaler Prosumer-Kultur fassen lassen. Dabei wird der Vortrag die Wurzeln dieser Strategien nicht, wie üblich, in der Heim- und Amateurproduktion suchen, sondern in zwei bislang vernachlässigten Auffassungen von kultureller Kreativität: der Do-It-Yourself-Bewegung, die seit den 1970ern an einem Gegenentwurf zur industriellen Massenproduktionsgesellschaft schreibt; sowie einem klassischen Konzept von Digitalität, das eine Utopie der Emanzipation und Selbstverwirklichung qua digitaler Transzendenz entwickelt, in der sich das Selbst in immaterieller Virtualität spielerisch produziert.

Die postdigitale Prosumer-Kultur nimmt auf beide Konzepte Bezug, beraubt sie jedoch ihres subversiven Potentials: Die für die DIY-Bewegung typische romantische Vorstellung eines fragmentierten Selbst, das sich immer wieder neu erschafft, wird ersetzt durch eine stete Optimierung des modularen Produktionskörpers, die nur durch einen immerwährenden Konsum realisierbar ist; und die Utopie digitaler Transzendenz weicht dem Marketingversprechen einer diffusen „Inspiration“, mit der die Nutzerinnen digitaler Dienstleistungen durch technologische Knoten, durch Freunde, MitkonsumentInnen und Werbeanzeigen angesteckt werden.

Andererseits leben die klassischen DIY-Ansätze, die im Umfeld der Neuen Sozialen Bewegungen wie der Kunst entstanden sind, auch weiter und öffnen sich den Konzepten und Strategien des Digitalen. In postdigitaler Fortschreibung von Situationismus, Kommunikationsguerilla oder Punk ermöglicht die neue Filmproduktion auch alternative Mediennutzungen, die filmische Praktiken direkt mit politischer Performanz verknüpfen und so einen Gegenentwurf zur konsumistischen Prosumer-Kultur aufzeichnen.

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CV  Daniel Kulle, Film- und Medienwissenschaftler in Hamburg. Studium der Biologie und Geographie. Forschungsaufenthalte in Namibia, Honduras, Neuseeland, Spanien und der Antarktis. Zusatzstudium der Filmwissenschaft in Zürich. Wissenschaftlicher Mitarbeiter in Zürich, Bonn und Hamburg. Dissertation über „Ed Wood. Trash und Ironie“. Forschungsschwerpunkte: DIY, Dilettantismus/Professionalität, Kinästhetik des Films, Queer Media.