Franziska Heller
Ständig zurück in die Zukunft . „Mythos Digital“ und Konzepte der Mediengeschichte im Alltag
Anfang der 2000er verdichtet sich die Literatur, die sich an den mittlerweile entstandenen Mythen zum „Digitalen“ abarbeitet. Nicht zuletzt Lev Manovichs bis heute referenzbildende Studie wie auch die Arbeiten von Tom Holert betreiben eifrig Mythendekonstruktion, um der Vielfalt an Ebenen und Phänomenen, die mit digitalen Medientechnologien einhergehen, zu systematisieren und vor allem zu präzisieren. Damit entwickeln sie aber auch mehr oder weniger explizit Modelle der Mediengeschichte, da sie sich immer wieder zu den besonderen Qualitäten der „neuen“ Medien im Vergleich zu den älteren verhalten müssen. So werden Konzepte von (medien)geschichtlicher Dynamik entworfen. „Digitalisierung“ entpuppt sich aus verschiedenen Gründen als historiographisches Problem. Zehn Jahre später finden die Autoren immer noch rege Rezeption: Es stellt sich die Frage, was sich im dazwischen liegenden Jahrzehnt verändert hat, wie dies in Konzepte einer Postdigitalität einzuordnen bzw. dazu in ein Verhältnis zu setzen ist.
Mein Gegenstandsbereich ist insofern exemplarisch, als dass die sogenannte „Retrodigitalisierung“ – auch eine nicht unumstrittene Begrifflichkeit – ein Feld ist, in dem die Medientransition nicht nur konzeptuell modelliert wird, sondern auch praktisch Umsetzung findet: Zum einen bedeutet „Retrodigitalisierung“ den tatsächlichen Digitalisierungsprozess von historischen Filmen, darüber hinaus aber auch die Edition und Distribution über digitale Speicher- und Wiedergabemedien. Insbesondere letztere eröffnen vor allem auch in Form der ‚Home Movies’-Technologien neue Rezeptionsformen im Alltag und im privaten Raum.
Anhand einer Fallstudie, in der der Mythos-Begriff auf der inhaltlichen Ebene des historischen Quellenfilms, aber auch in der Fassungs- und Rezeptionsgeschichte immer wieder auftaucht und sich mit der historiographischen Modellierung von digitalen Technologien vermengt, möchte ich die Interaktionen der einzelnen Ebenen aufzeigen. Damit soll der Gedanke, dass „Postdigitalität“ an Logiken und Tendenzen der Moderne anschließt, weiterverfolgt und reflektiert werden. Darüber hinaus soll erörtert werden, welche historiographischen Modellierungen – vor allem auch in der filmischen Wahrnehmungsdimension – wirksam werden.
……..
CV Franziska Heller, Dr. phil., Habilitandin und Lehrbeauftragte am Seminar für Filmwissenschaft der Universität Zürich, forscht im Schweizer Nationalfonds-Projekt Filmgeschichte Re-Mastered. 2009 Promotion an der Ruhr-Universität Bochum. Danach arbeitete sie bis 2010 an der Uni Zürich im Projekt AFRESA: Automatisches System zur Rekonstruktion von Archivfilmen. 2010-2011 Oberassistentin am Seminar für Filmwissenschaft. Autorin bei verschiedenen Sammelbänden wie Film und Medienzeitschriften. Arbeitsschwerpunkte: Phänomenologische Erzählforschung und Wahrnehmungstheorie, Theorie und Praxis der Retrodigitalisierung u. Archivierung, Medientransitionen und deren Konsequenzen für Memopolitiken und Filmhistoriographie. Jüngere Publikationen: Filmästhetik des Fluiden. Strömungen des Erzählens von Vigo bis Tarkowskij, von Huston bis Cameron. München: Wilhelm Fink, 2010. Sowie: „Warum Filmgeschichte? Wie die Digitalisierung unser Bild der Vergangenheit verändert…“ In: Memento Movie. Materialien zum audiovisuellen Erbe. 2013. http://www.memento-movie.de/2013/02/warumfilmgeschichte/